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Die Walkemühle
Landerziehungsheim von (1921-1933)
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20 Das Ende

Zu jener Zeit, in der dieser Unterricht stattfand, rangelten Reichspräsident Generalfeldmarschall von Hindenburg, Reichskanzler General v. Schleicher und der Gefreite Adolf Hitler um die Macht im Staat, Großindustrie und Reichswehr mischten kräftig mit, der SPD schien es das Wichtigste, sich von den Kommunisten abzugrenzen, die KPD sah in den Sozialdemokraten vor allem "Sozialfaschisten".

Von Schleicher unterlag, Hitler wurde am 30. Januar 1933 von Hindenburg per Notverordnung zum Reichskanzler ernannt. Die Reichswehr, einst von den Sozialdemokraten Ebert und Noske zu ihrem Schutz vor den Linken genutzt, unterstützte bald Hitler. Die SPD forderte Besonnenheit von ihren Mitgliedern.

Dazu wurden in Deutschland alle republikanisch gesonnenen höheren Beamten ihres Dienstes enthoben, Zeitungen verboten  oder gleichgeschaltet, der Rundfunk kontrolliert, der Terror gegen Linke legalisiert, indem zehntausende SA-, SS- und Stahlhelm-Männer zu Hilfspolizisten ernannt wurden. Der Reichstag brannte am 27. Februar zu einem für die Nazis günstigen Zeitpunkt, und um die bedrohte Ordnung wieder herzustellen, wurden tausende Kommunisten, Sozialdemokraten, Liberale und auch einige rechte Zentrumsleute wegen ihrer Gesinnung vorsorglich verhaftet. Für den 5. März setzte Hitler Neuwahlen an. (79)

Schon am 3. März fand dann auch in der Walkemühle die erste Haussuchung statt.

Bereits wenige Tage später wurden die Kinder zu ihren Eltern zurückgeschickt oder, wenn das nicht so schnell möglich war, provisorisch außerhalb der Walkemühle untergebracht. (80)

14. März 1933, die erwartete zweite Haussuchung. Die Walkemühle wurde "von Polizei und Hilfspolizeiorganen besetzt und auf illegale Literatur und Waffenbesitz durchsucht..."  (81)

"Der angebliche Unterstand entpuppte sich vor den Augen der etwas betretenen Polizeibeamten als harmloses Kinderbauwerk, das sich Kinder zwischen zwei Wasserläufen gebaut hatten. (82)

Der "amtierende Beamte, Kriminalsekretär Seufert", beschlagnahmte die folgenden Schriften, die auch "im Buchhandel allenthalben zu haben" gewesen wären: (83)

  1. "Die Forderung der Stunde" von Josef Weisbart

  2. "Hilft die Arbeitsdienstpflicht gegen Arbeitslosigkeit?"  (Herausgeber: SPD)

  3. "Judas" , Drama von Erich Mühsam

  4. "Der Drache Marxismus",  Flugschrift der SPD

  5. "Erinnerungen an Lenin" von Clara Zetkin, Verlag für Literatur und Politik.

  6. "Die permanente Revolution" von Leo Trotzki, Verlag "Die Aktion"

  7. "Brechen die Nazis die Zinsknechtschaft?" Flugschrift der SPD vom Januar 1931

  8. Vier Schreiben der Kommunistischen Jugend - Internationale betr. Rassenfrage, Religion, Moral und Krieg.  (84)

Ebenfalls am 14. März erschien der Landrat Noelle aus Melsungen "ohne Vorladung" bei der Regierung in Kassel und beantragte "bei dem Herrn Regierungsvizepräsidenten persönlich..., die von der Regierung erteilte Genehmigung zur Aufnahme von schulpflichtigen Kindern (Erlass vom 13.8.1924 U III D Nr. 1989.1 usw.) wieder sofort zurückzuziehen.

Herr Regs.Vizepräsident hat angeordnet, dem Antrage sofort stattzugeben."  (85)

Der Herr Regierungspräsident war zu seinem Bedauern zu dieser Unterredung nicht hinzugezogen worden und fügte bei der oben angeführten Gesprächsnotiz u.a. den folgenden handschriftlichen Kommentar bei: "Auch ist mir nicht bekannt, in welcher Weise die Maßnahme der Regierung begründet werden soll. Ich bitte, die Beurteilung der Sache gefälligst zu behalten."  (86)

Was nichts daran änderte, dass zwei Wochen später aus Berlin die Bestätigung dieser Maßnahmen kam

 

(87)

Ein Helfer berichtet von den letzten Tagen auf der Walkemühle:

"Zwischen der ersten und zweiten Hausdurchsuchung durch die SA von Melsungen setzten wir uns noch mal zusammen und sagten: ,Das hat keinen Zweck mehr, wir müssen weniger werden! Wir müssen weg, die hauen uns zusammen.' Und Minna Specht wollte und wollte nicht weg, und dann sagte ich - ich war zu der Zeit das einzige männliche Wesen da, außer mir waren es nur noch einige Frauen - ich sagte: ,Minna, Du gehst jetzt weg und machst eine Kur in Witzenhausen.' Wir schickten sie nach Witzenhausen zum Dr. Buchinger, der machte so halbe Hungerkuren. Wir waren ja alle Vegetarier, und bei  einer Hungerkur, da konnte man ja nichts falsch machen. Minna hatte sich aber ausbedungen, alle drei Tage von uns Bescheid zu bekommen, und so büchste immer einer aus, wanderte erst ein Stück, fuhr dann mit dem Fahrrad nach Witzhausen und berichtete Minna Specht.

Und eines guten Tages, ich stand noch mit zehn weiblichen Wesen da, rückte die Melsunger SA zur zweiten Hausdurchsuchung an, u.a. der Dr. Reinhardt, der war Ortsgruppenleiter geworden, und vorher war er auch mal Arzt der Walkemühle gewesen, der kannte uns eigentlich alle, der rückte an. Wir mussten alle in unserem Speiseraum antreten, dann ließ er die Katze aus dem Sack und sprach: ,Ja, geheime Verbindungen nach Moskau, Geheimsender usw.,' erzählte er, ,und dann habe ich als Arzt noch den Auftrag, Sie zu untersuchen, wer von Ihnen männlichen und wer von Ihnen weiblichen Geschlechts ist.' Ich sagte: ,Herr Dr. Reinhardt,'  ich  war  nun  das  einzige männliche Wesen da drinnen, ,bei mir können sie, glaube ich, nicht zweifeln, dass ich ein Mann bin. Und die anderen, Herr Dr. Reinhard, ich möchte sie daran erinnern, dass sie mal der Hausarzt dieser Schule gewesen sind und alle, wie sie da stehen, die haben sie alle schon untersucht. Sie brauchen sie also nicht mehr zu untersuchen.'  Und hinter ihm standen dann so zwölf SA-Männer mit Karabinern. Dann ging er noch bei einer jungen Frau vorbei und packte an ihre Brust und sagte: ,Sie kenne ich nicht - ja, ist auch eine Frau.' Das war alles, das war die Untersuchung. Und dann zogen sie ab und kommandierten uns: ,Ihr habt die Walkemühle nicht zu verlassen. Die Walkemühle wird dann und dann von der Standarte 83 aus Kassel übernommen.'  Bumm, jetzt saßen wir fest. ,Ihr habt sie nicht zu verlassen!' Das waren so ein Dutzend, manchmal auch zwei Dutzend SA-Leute in der Walkemühle, die aufpassten, damit nichts passierte.

Ich hatte inzwischen festgestellt, da ist einer dabei, der ist ein klein bisschen doof, und wir hatten einen deutschnationalen Rechtsanwalt hier in Kassel sitzen - wir waren uns einig: ,Mensch, der muss an dem Tag in der Walkemühle sein, an dem die SA-Standarte von Kassel anrückt. Ja, wer fährt denn hin?' Ich sah mir die Weibsen alle an und sagte: ,Ich fahre hin.' ,Menschenskind, wie willst du das machen?'  Ich sagte: ,Ich mache es schon. Morgens früh um sechs hat der Doofe Wache, und um halb sieben geht ein Zug von Melsungen ab nach Kassel, das weiß ich. Mein Fahrrad stelle ich startbereit.'

Ich stellte mein Fahrrad startbereit, und dann ging ich raus, auf den Doofen zu und begrüßte den nur freundlich: ,Mensch, heute gibt es aber prima Wetter.' Der antwortete: ,Ja, ja.'  Ich aufs Rad und weg, ab nach Kassel. Zuerst nach Melsungen. In Melsungen stellte ich das Rad am Bahnhof hin, sagte dem Mann an der Sperre: ,Stell das Rad beiseite, ich hole es heute Abend wieder!' Ich löste eine Karte nach Kassel, fuhr nicht nach Kassel, sondern stieg schon in Wilhelmshöhe aus, ging zu dem Rechtsanwalt, und da redete ich dann mit Engelszungen, und der Rechtsanwalt sagte mir nur: ,Das können sie viel besser als ich, also, das hat doch keinen Zweck, das hat doch keinen Zweck, dass ich dahinkomme, nee, das hat keinen Zweck!' Ohne was erreicht zu haben, fuhr ich also wieder zurück.

In der Walkemühle gab man mir dann Bescheid und sagte, ich dürfe die Walkemühle überhaupt nicht mehr verlassen. Sie setzten mir einen vor die Tür, und wenn ich von einer Turbine zur anderen wollte, dann ging immer ein SA-Mann mit, damit ich nicht ausreißen konnte. Und das, obwohl ich für meinen Ausflug nach Kassel eine prima Begründung hatte: Mein jüngster Bruder hatte an dem Tag Konfirmation gehabt."  (Willi Warnke)

Zu dieser und der von Willi Warnke im folgenden gegebenen Darstellung gab Nora Walter als Augenzeugin eine andere Version, laut derer Minna Specht zu dieser Zeit durchaus in der Walkemühle anwesend war.

Einfügung einer Helferin:

"Als wir besetzt waren, konnten wir unsere Wut schlecht rauslassen. Ich weiß, des Nachts hatte es wieder einmal dauernd geschossen, da kam ich des Morgens von meinem Zimmer herunter und sagte: ,Wer hat denn heute nacht dauernd geschossen?' Da antwortete mir einer: ,Warum, haben Sie Angst ?' - der war der Verantwortliche für seine Leute da - da sagte ich: ,Nein, Angst habe ich nicht, aber dieses dauernde Schießen, da kann man ja gar nicht einschlafen.'

Oder ich kam morgens herunter, und einer hatte sein Gewehr auf dem Tisch liegen, da sagte ich: ,Tun sie doch das Gewehr weg, das kommt in die Ecke, ein Gewehr gehört nicht auf den Tisch.'

Also, das konnte man '33 noch machen, ich glaube, '38 hätten Sie das nicht mehr machen können, und ein Teil der SA-Leute kannte uns ja auch persönlich oder wenigstens dem Namen nach. Einer war der Franke von Adelshausen, der war, als Wunder noch da war, mit den Jungsozialisten oft auf der Walkemühle gewesen, mit dem Johann Eckard zusammen, die hatten uns oft das Holz und die Kohlen hereingebracht. Vierzehn Jahre musste der damals vielleicht alt gewesen sein, und auf einmal trug dieser Franke SA-Uniform. Ich sagte dann zu dem: ,Mann, wie fühlst du dich denn ? Fühlst du dich wohl in der Uniform ?' Das konnte man am Anfang alles noch sagen" (Hedwig Urbann).

Der Helfer, der bereits von der Besetzung der Walkemühle erzählt hat, berichtet weiter:

"Einige Tage später wurden wir aus Melsungen von einem Mittelsmann angerufen, und tatsächlich rückte noch am gleichen Tage die Standarte 83 der SA an, unter Standartenführer Schmidt.

Allerdings waren wir inzwischen nur noch zu zweit auf der Walkemühle, Julie Pohlmann und ich. Es war uns gelungen, die anderen restlos vorher unter den Fingern der SA herauszuschleusen. Und meine alte Julie Pohlmann kriegte, als die Standarte 83 mit so einem halben Zug anrückte - ungefähr sechzig Mann, ein paar Lastwagen, der Standartenführer kam in einem Mercedes - da kriegte meine alte Julie Pohlmann einen Nervenzusammenbruch und rief: ,Stellen sie uns doch gleich an die Wand !  Erschießen sie uns gleich!' Ich klopfte dann meiner alten Julie Pohlmann auf die Schuler: ,Julie komm, komm.' Und dann kam schon einer mit so einer Gusskugel in der Größe von fast zwei Fäusten angelaufen: ,Herr Standartenführer! Herr Standartenführer! Sehen sie hier, Bomben!' Ich lachte nur laut. Da sprach er ,Warum lachen sie denn?' Ich sprach: ,Ja, Herr Standartenführer, ich nehme an, sie haben mindestens die Mittelschule besucht, das nehme ich an.' ,Ja, habe ich.' ,Was ist denn das?' ,Das sehen sie doch, eine Bombe!' Ich sagte: ,Eine Bombe können sie auch aus einer Konservenbüchse machen, aber wissen sie, was das ist? Das ist eine Kugel für Fallversuche, die wir in der Physik machen.' Und dann musste ich ihnen den ganzen Kram erzählen. Als ich in dem Physikraum reinkam - da  war eine etwa fünf Meter lange Schalttafel drin, - kriegte er  gleich Angst und befahl gleich: ,Plombieren!  Plombieren!' Also, ich brauchte dem nichts zu erzählen. ,Geheimsender nach Moskau' und so etwas erzählte er dann überall.

Als ich dann an der Turbine war und ihnen die letzte Turbine zeigte, da stellte er an mich die Frage: ,Sagen sie mal, das haben sie alles überwacht?' Ich sprach: ,Ja, das habe ich alles überwacht, und dann habe ich mich noch auf die Schulbank gesetzt.' ,Ja, was haben sie denn dafür gekriegt?' Ich sprach: ,Dafür habe ich hier gelebt, habe meine Kleidung gekriegt und habe viel gelernt.' Da sprach er wörtlich zu mir: ,Da sind Sie schön dumm, bleiben Sie hier, ich verwende mich dafür, dass Sie alter Kämpfer werden.' Und ich sprach wörtlich zu ihm: ,Herr Schmidt, darauf habe ich gewartet, dass Sie mir das Angebot machen, aber man kann seine Gesinnung nicht ausziehen wie ein dreckiges Hemd. Bitte lassen Sie mich gehen.' Und da sagte er mir: ,Wenn sie es nicht anders wollen, dann gehen Sie.'  Dann hängte ich mir meine Klampfe über den Buckel, setzte mich auf mein Fahrrad und fuhr nach Kassel."  (Willi Warnke)

Der  Rechtsweg

Auf der einen Seite bemühte sich der Staat, vertreten durch den Regierungspräsidenten von Kassel, die ,Einziehung der gefährdeten Vermögenswerte'  (88) mit " Recht und Gesetz" (Dr. Fritz Elze)  in Einklang zu bringen.

Strafbare Handlungen konnten den ISK-Mitgliedern auf der Walkemühle nicht nachgewiesen werden, wohl aber ihre politische Gesinnung. Sie hatten in Versammlungen öffentlich gegen den Nationalsozialismus geredet. Gesinnungen konnten gegen Recht und Gesetz verstoßen, und was noch nicht Recht war, wurde rechtens gemacht: Im März '33 erließ die neue Reichsregierung eine Verordnung, dass kommunistisches oder ähnliches Eigentum zugunsten des Staates zu beschlagnahmen sei. Wer dann die Walkemühle beschlagnahmte, war die zur Hilfspolizei erklärte SA, und wer Gebrauch von der Mühle machte, war auch die SA: Politisch Andersgesinnte wurden in der Walkemühle in Schutzhaft genommen und gefoltert; am 1.7.1933 wurde dort unter dem Jubel der inzwischen gleichgeschalteten Presse die Amtswalterschule der NSDAP eröffnet.(89) Über die Staatsverträglichkeit der Walkemühle und die politische Gesinnung verständigte sich die Regierung in Kassel am 17. März mit der Gauleitung der NSDAP und dem Herrn Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung in Berlin:

"Nachdem sich neuerdings aber eine stärkere politische Beeinflussung der Einwohner nahegelegener Ortschaften gezeigt hatte, hielt es der Landrat des Kreises Melsungen für geboten, um Nachprüfung...." zu ersuchen, und er kam zu folgendem Ergebnis: "Schon im Jahr 1927 war eine Trennung von der ... (SPD) erfolgt und die Tendenz der Walkemühle kommunistisch geworden, ohne unmittelbar auf das Parteiprogramm verpflichtet zu sein und ohne direkte kommunistische Parteipolitik zu treiben.

Während früher Minna Specht und die anderen Lehrpersonen häufiger als Diskussionsredner in den der Walkemühle benachbarten Landgemeinden auftraten, hat die Betätigung in den letzten Jahren nachgelassen, und es kann im allgemeinen nur noch eine Beeinflussung bei den der Walkemühle nahestehenden Arbeitern und Kleinbauern (Siedlungsverein) in den benachbarten Ortschaften beobachtet werden. Immerhin wird die unverhältnismäßig große Zahl der auch bei den letzten Wahlen (5. März, Reichtagswahl)  für die Linksparteien in diesen Gemeinden abgegebenen Stimmen zum großen Teil auf den Einfluss der Walkemühle zurückzuführen sein. ... Der Landrat ist der Ansicht, dass die geistige Beeinflussung und Erziehung in der Walkemühle in scharfem Gegensatz zu deutschen und christlichen Grundsätzen stehe. Er halte die Walkemühle für einen sehr unerwünschten Unruheherd. (So) müssen wir heute erkennen, dass die Ziele der Anstalt im wesentlichen politischer und zwar staats- und kirchenfeindlicher Natur sind. ... Die Einstellung des Prof. Nelson war bekanntermaßen eine internationale pazifistische und näherte sich weitgehend den Auffassungen der kommunistischen Partei. Wir können uns daher der Überzeugung nicht verschließen, dass starke politische Einflüsse von der Schule ausgehen, die eine Gefahr für den Staat bedeuten.

Unter diesen Umständen halten wir es nicht für tragbar, mit einem Eingreifen zu zögern...."  (90)

Auf der anderen Seite die Philosophisch - Politische Akademie. Sie wendete sich an Rechtsanwälte und  bat um Rechtsschutz. Die Rechtsanwälte sicherten sich dann in ihrer Eingabe beim Kasseler Regierungspräsidenten zuerst einmal selbst ab:  (91)

"... war für die unterzeichneten Anwälte die Übernahme oder Ablehnung dieser Rechtsvertretung die Prüfung der Frage unerlässlich, ob es sich bei dem bezeichneten Institut um eine kommunistische oder marxistisch-sozialistisch eingestellte Zellenbildung handele oder nicht."

Dann widerlegten sie mit Gutachten die "kommunistische Tendenz" von Nelsons Lehre, Gutachten, in dem die "auf diesem Gebiete vertrauten, mit Nelson und seinen Werken befassten, namhaften Lehrer unserer deutschen Hochschulen...ausschlaggebend urteilen. ...

Wir verweisen in erster Linie auf den Senior der deutschen Philosophieprofessoren, Herrn Geh. Reg. Rat Professor Dr. phil. Dr. jur. M. c. Dr. rer. pol. h.c. Ferdinand Tönnies der Universität Kiel... ." Neben ihm wurde noch auf "ad hoc erstellte" Gutachten anderer Intellektueller verwiesen: Der Professor und frühere Rektor der Universität Hamburg Dr. R. Laun, der Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts für medizinische Forschung, der Heidelberger Universitätsprofessor und Nobelpreisträger Professor Dr. Oto Meyerhof, der Hamburger Professor Dr. Schaltenbrand.

Die Rechtsanwälte schrieben weiter: "Nach all dem kann also gesagt werden, dass die ... Frage über den augenblicklichen kommunistischen oder marxistisch-sozialistischen Charakter der Walkemühle als einer Gründung und Pflegestätte Nelsons und seiner Lehre in allen Kreisen der deutschen Gelehrtenwelt einstimmige Verneinung findet." (92)

Aus diesem Gutachten der "Gelehrtenwelt" sprach aber keinesfalls ein republikanischer Geist, sondern schon eher der deutsche Untertan: Es tauchten ein Leonard Nelson auf, der seine hohen Ideale auch mit dem König von Preußen, Friedrich dem Großen, und seinen Staatsmännern geteilt hatte. Man hatte einen "enthusiastischen Schüler Nelsons" getroffen, einen Mann "reiner Gesinnung", "übrigens war er kein Jude, sondern ein echter Hesse seiner Abstammung nach, wie auch sein Äußeres bezeugte." Ein Freund, der "Staatssozialist" ist, wurde angeführt, der "die Schließung des Landerziehungsheims Walkemühle für barbarisch erklärt hätte." Und weiter hieß es: "Wenn er (Nelson) mit den sozialistischen Parteien Beziehungen unterhalten hat, so bin ich gewiss, dass er im Sinne seiner liberalen und humanen Denkungsart auf sie zu wirken bemüht gewesen ist."  (93)

Dann wurde beschwichtigt, Nelson sei "kein Parteipolitiker, sondern ein theoretisch, wissenschaftlich orientierter Philosoph gewesen." Man hätte in persönlichen Gesprächen nur einmal über Politik mit ihm gesprochen; man wüsste nur noch, dass Nelson die Demokratie scharf abgelehnt hätte, weil man über staatliche und rechtliche Wahrheiten nicht abstimmen könne. (94)

Dann wurde geklagt: "Es wäre eine tragische Ironie der Geschichte in unserer bewegten Zeit und ein nicht wieder gut zu machender Verlust, wenn ein solches Unternehmen, das einen auf dem deutschen Idealismus gründenden Sozialismus vertritt, der Denunziation eines Unwissenden zum Opfer fallen würde." Und: "Die wissenschaftliche Erziehungsarbeit steht nicht im Dienst einer bestimmten politischen Gruppe ISK, dem ich auch selbst vollkommen fern stehe."  (95)

Dann erklärten die Anwälte, dass bei den Hausdurchsuchungen kein Material gefunden worden wäre, das den Beweis einer kommunistischen Tätigkeit Nelsons erbringe, oder das ein "spätes Abgleiten (nach Nelsons Tod) des Instituts Walkemühle in marxistisch - kommunistisches      Fahrwasser" nachweise.

So wurde nachgewiesen, erklärt, beschwichtigt, geklagt, aufgezeigt, begründet. War Nelson vielleicht gar kein Mitglied im ISK gewesen? Und obwohl das Recht noch geprüft wurde, veranstaltete die NSDAP in der Walkemühle bereits die Kurse für die neuen Führer.

Für Minna Specht vergingen noch "Wochen voller Hoffnung und Enttäuschung."(96) Aber schließlich war doch allen ohne offizielle Enteignung klar, dass in Deutschland die Zeiten für eine Walkemühle vorbei waren.

Man beschloss nach Dänemark zu gehen. Ab Juni 1933 bemühte man sich, dort eine Unterrichtserlaubnis zu erhalten, ein für den Unterricht geeignetes Haus zu finden. Dieses Haus sollte gleichzeitig ein Zentrum bilden für den Kontakt zwischen ISK-Mitgliedern in der Emigration und denjenigen, die ihre politische Arbeit in Deutschland als Widerstandsbewegung fortsetzten.  (97)

In Deutschland dauerte die Prüfung des Rechts noch bis zum April 1934, dann erst wurde die Walkemühle offiziell enteignet. Zwischendurch hatte es in der Walkemühle noch so etwas wie einen Lokaltermin gegeben. Der Bericht eines an diesem Lokaltermin Beteiligten gibt einen abschließenden Eindruck von dieser durch den Staat legalisierten Willkür und des sich in ungebrochener feudalstaatlicher Tradition befindenden deutschen Beamtentums:

"Ich war seit dem 1. Juli 1932 als Regierungsrat Dezernent an der Regierung in Kassel. Ende April '33 wurde ich bei dem damaligen Regierungspräsidenten von Mombart politischer Dezernent. In dieser Eigenschaft bekam ich eines Tages zur Bearbeitung die Beschwerde der Philosophisch-Politischen Akademie wegen Beschlagnahme der Walkemühle durch die SA bzw. die NSDAP Melsungen. Nach verschiedenen Besprechungen mit dem Regierungspräsidenten und dem Gauleiter Weinrich wurde ein Ortstermin in Melsungen vereinbart; dazu fuhren auf der einen Seite der Regierungspräsident von Mombart und ich als der Sachbearbeiter, auf der anderen Seite der Gauleiter Weinrich mit seinem Adjutanten, dessen Namen ich vergessen habe. Wir kamen in die Walkemühle, und in einem großen Saal war ein Riesenaufgebot von Partei und SA unter Führung des damaligen Kreisleiters Dr. Reinhardt, ein praktischer Arzt aus Melsungen. Die Teilnehmer der Walkemühle waren Frau Minna Specht, die Geschäftsführerin der   Walkemühle,  Frau Grete Hermann, die als Dozentin an der Walkemühle tätig gewesen war, zu ihrer Verstärkung der Bruder von Frau Minna Specht,  ein  Prof. Specht  aus  München  und der  damalige  Rechtsanwalt  Dr. Petzold  aus Magdeburg, der später nach dem Kriege hier Präsident des Verwaltungsgerichtshofes gewesen ist.

Ich hatte mich nun schon vorher auf den Termin vorbereitet, und ich war mit dem Regierungspräsidenten darüber einig geworden, dass wir ja nun irgendwie diese Beschlagnahme legalisieren müssten. Da war das einzige, worauf man sich stützen konnte, eine Verordnung über Beschlagnahme kommunistischen Vermögens, die meines Wissens im März '33 ergangen war. Ich weiß nicht mehr genau, ob es eine preußische Verordnung war, dann ist sie im Preußischen Gesetzblatt 1933 abgedruckt, oder ob es eine Reichsverordnung war, dann ist sie im Reichgesetz zu finden.

In dieser Verordnung stand, dass kommunistisches und ähnliches Vermögen - ich glaube, so hieß es - zugunsten des Staates beschlagnahmt werden könnte. Soweit aber für Beteiligte an dem Vermögen grundbuchliche Rechte eingetragen wären, müssten diese Rechte durch eine Entschädigung abgelöst werden. Nun hatte ich schon festgestellt, dass Frau Minna Specht in ihrer Eigenschaft als Geschäftsführerin ein lebenslängliches Wohn- und Nutzungsrecht in der Walkemühle besaß, da hatte ich also schon dem Regierungspräsidenten gesagt: ,Wenn überhaupt die Beschlagnahme vorgenommen werden kann nach dieser Verordnung, dann muss mindestens Minna Specht eine Entschädigung bekommen,' eine Rente hieß es in dieser Verordnung. Nun trugen zunächst die Vertreter der Walkemühle ihre Beschwerde vor, beklagten sich vor allem darüber, dass man die ganze Bibliothek herausgerissen und auf dem Marktplatz von Melsungen öffentlich verbrannt hatte.(98)  Nur die Bibliothek von Nelson befand sich noch in den Regalen; das haben wir bei dem Termin gesehen. Es gelang dem Regierungspräsidenten durch sein Eingreifen, diese Bibliothek zu retten, so dass sie nicht auch noch beschlagnahmt und verbrannt wurde.

Nachdem nun die Damen und Herren der Walkemühle ihren Standpunkt vorgetragen hatten, kam nun die Gegenseite, die Partei, zu Wort, wo hauptsächlich der Kreisleiter Reinhardt das Wort ergriff und die Walkemühle als eine Brutstätte des Kommunismus schilderte. Die vielen Neinstimmen, die sie bei der Abstimmung im März '33 gehabt hätten, rührten alle von der Walkemühle her. Die Walkemühle müsse also mit Stumpf und Stiel ausgerottet werden. Dann wurde zum Vortrag des Rechtsstandpunktes mir das Wort erteilt. Ich erläuterte dann, wie es war.

Dann zogen sich der Regierungspräsident und der Gauleiter allein zu einer Besprechung zurück, kamen nach einer Viertelstunde wieder, und der Regierungspräsident verkündete, der Beschwerde könne nicht in vollem Umfang stattgegeben werden. Es müsse beschlagnahmt werden aufgrund der Verordnung über die Beschlagnahme kommunistischen Vermögens, aber das im Grundbuch eingetragene Nutzungsrecht der Frau Specht müsse durch eine Rente - und die wurde damals, wenn ich mich recht erinnere, auf 200 Mark im Monat festgesetzt - abgegolten werden. Der Gauleiter nahm mit großem Missfallen diese Entscheidung des Regierungspräsidenten auf, und die Herren von der Partei und von der SA erhoben großen Protest. Er sagte: ,Wir haben hier nach Recht und Gesetz zu entscheiden.' Die Damen und Herren von der Walkemühle waren nun erfreut, dass die Sache immerhin so ausging und dass dann in einer weiteren Besprechung die Bibliothek von Nelson gerettet wurde.

Damit war die Sache vorbei, und ich hörte dann nichts mehr davon. Erst als ich bereits kommissarischer Landrat in Wolfhagen war, da erschien eines Tages, vielleicht im Juli '33, Minna Specht bei mir und bat mich um eine Unterredung unter vier Augen. Ich ging mit ihr in unseren landrätlichen Garten, und sie sagte mir, die Rente, die sie anfangs bekommen hätte, wäre ihr nun entzogen worden, und sie wolle nun in die Emigration gehen. Bevor sie aber in die Emigration ginge, bäte sie mich um eine Bescheinigung, dass es sich bei der Philosophisch-Politischen  Akademie zu Göttingen nicht um eine kommunistische Organisation gehandelt hätte, sondern um eine parteilose, in erster Linie philosophisch-pädagogisch orientierte Einrichtung. Ich tat das dann auch, ich stellte ihr diese Bescheinigung aus, obwohl es für mich damals ein gewisses Risiko war, in '33, als staatlicher Landrat.

Mir persönlich hat die Partei damals mein Auftreten in der Walkemühle ungeheuer übelgenommen. Als später die Walkemühle Schulungsstätte war, wurde immer von den Parteiorganen in Melsungen auf eine bestimmte Säule in dem Saal gewiesen und gesagt: ,Hier hat der jetzige Landrat von Wolfhagen gestanden und hat die Kommunisten verteidigt.' Das wurde mir dann wieder hinterbracht, und auch der Gauleiter hat mir das später noch vorgehalten." (Dr. Fritz Elze)

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